Eine Welt, beherrscht von Computertechnologie, ist als Angstszenario nicht nur in Science Fiction Büchern oder Filmen beschrieben worden. Selbst wenn junge Menschen heute so selbstverständlich mit den Digitalen Medien umgehen, bleibt auch bei ihnen ein ungutes Gefühl von Bedrohung, Überwachung und Ohnmacht, wenn diese virtuellen Welten, die man im Spiel oft so virtuos durchwandert, in die Wirklichkeit »einbrechen«.
Institutionen wie HANDS on TECHNOLOGY e.V. oder das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS tragen mit ihren MINT-Förderaktivitäten schon seit mehr als 10 Jahren dazu bei, dass junge Menschen Technologie nicht nur als Konsumgut einerseits, oder als undurchschaubare und unkontrollierbare Black Box andererseits erleben, sondern dass sie sich als Akteure in der Gestaltung von Informationstechnologie erleben – die Erfahrung der Selbstwirksamkeit machen, wie man das in den Erziehungswissenschaften nennt.
Mit dem Computer ist eine Technologie in der Welt, die nicht mehr den Menschen braucht, um zwischen der virtuellen Welt der Zeichen und Bilder und der »wirklichen« Welt des Stofflichen und Greifbaren zu vermitteln. Der Computer ist »fleischgewordene Mathematik«, wie ihn sein Erfinder, Konrad Zuse, bei der Anmeldung des Patents nennt. Indem Computer heute nicht mehr in den Büros und hinter den Bildschirmen eingesperrt sind, sondern die Welt durchstreifen, als Waschmaschinen oder Robots, in der Kleidung vernäht oder im 3D-Druck, wird für uns alle offensichtlich, dass im Zwischenraum zwischen Zeichen und Stofflichkeit, zwischen Geist und Körper, zwischen Virtualität und Realität etwas Neues entstanden ist. Was als abstrakte Beschreibung beginnt und als Computerprogramm formuliert wird, erscheint in der Nutzung schließlich als konkreter, fühlbarer stofflicher Prozess, der uns entgegentritt, so dass die Gegenstände – wie von Zauberhand – ein Eigenleben führen.
In der Robotik wird dies erfahrbar. Es fasziniert viele Menschen, macht aber auch vielen Menschen Angst, wenn die unbelebte Materie ein Eigenleben entwickelt, mit ihrer Umwelt, ja sogar mit uns Menschen in Kontakt tritt und uns evoziert. In Roboter-Wettbewerben wie FIRST® LEGO® League, in Zentraleuropa veranstaltet von HANDS on TECHNOLOGY e.V., machen Kinder und Jugendliche eine andere Erfahrung: Sie selbst sind die Schöpfer der Robots, sie beherrschen sie, sie wissen darum, nach welchen Prinzipien die intelligenten technologischen Artefakte funktionieren. Gestalten statt Konsumieren, dies ist das Geheimnis, das hinter dieser Selbstwirksamkeitserfahrung liegt und zur selbstbewussten Mitgestaltung einer von Informationstechnologie geprägten Gesellschaft auffordert. Die Aufgabe der Zukunft für Schule und Jugendarbeit besteht weniger darin, Kinder und Jugendliche an die digitale Welt heranzuführen (oder gar sie davon fernzuhalten) und ihnen Fertigkeiten im Umgang mit Informationstechnologie zu vermitteln, sondern sie vielmehr bei einem erfolgreichen Wandern zwischen den Welten zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit der Teilhabe und die Vorstellung von Selbstwirksamkeit zu ermöglichen.
Selbstverständlich kann sich dies nicht in einer von Instruktion geprägten Lernumgebung entwickeln, wo ein Lehrer oder eine Lehrerin sagt, wo es lang geht und wo eine feste Aufgabe vorgegeben wird, deren Lösung die Lehrperson schon kennt. ’Tiefes’ und komplexes Lernen findet zunächst in einem Prozess statt, in dem es um persönlich Bedeutsames geht und um das Entwickeln einer fragenden, erkundenden, offenen Haltung, in dem man selbst Ziele setzt und selbst Antworten findet.
Bei der Robotik ist das Besondere, dass es sich hier um ein Material handelt, das selbst – ohne dass eine Lehrerin oder einer Lehrer eingreifen muss – Auskunft darüber gibt, ob man »richtig gedacht« hat. »Things-to-think-with« nennt Seymour Papert, der als erster über die Verbindung von Computern und Kindern nachgedacht hat, die Roboter und die Programmierumgebungen, die er den Kindern zur Verfügung stellt. Fehler gehören zum Lernen dazu, und wie können sie besser das Denken beflügeln als wenn der Roboter nicht das tut, was sein Erfinder oder seine Erfinderin beabsichtigt hat?
Ein Weiteres bewirken die Wettbewerbs-Events der FIRST® LEGO® League wie auch die unzähligen, auf freiwillige Teilnahme der Schülerinnen und Schüler setzenden FLL Arbeits-Gemeinschaften an den teilnehmenden Schulen: Sie bringen junge Menschen mit unterschiedlichen Bedingungen und Voraussetzungen zu Teams zusammen, in denen man miteinander und voneinander lernt. Durch Teamgeist im Wettbewerb entstehen Orte und Situationen, in denen Herausforderungen angenommen werden und Lernen gelingt.
Nicht zuletzt wird Schülerinnen und Schülern mit den Roboter-Wettbewerben ein Umfeld geboten, in dem Mädchen und Jungen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technologie von ihrer faszinierenden Seite erleben und einen Einstieg in die sogenannten MINT-Bereiche finden können – eine lohnenswerte Aufgabe, wo der Mangel an Fachkräften heute in Deutschland so oft beklagt wird.
Ich freue mich darüber, dass diese Vorstellungen nun ihren Niederschlag in einem für die Praxis tauglichen Ratgeber des Fraunhofer IAIS, im Auftrag von HANDS on TECHNOLOGY e.V., zur FIRST® LEGO® League gefunden haben und wünsche mir, dass er helfen wird, diese Ziele in die Breite zu tragen, Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern und anderen Interessierten die Grundideen nahe zu bringen und sie für deren Anwendung zu begeistern. Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich nicht nur viel Spaß beim Lesen, sondern insbesondere Erfolg bei der praktischen Umsetzung.
Prof. Dr. Heidi Schelhowe
Leiterin der Arbeitsgruppe »Digitale Medien in der Bildung«
(dimeb) in der Informatik an der Universität Bremen